LAUF DES LEBENS

Mein Privatleben ist heute auf drei Länder verteilt: auf Deutschland, Österreich und Indonesien. Frankfurt wurde zu meinem Lebensmittelpunkt. Von hier aus arbeite ich und pflege meine Freundschaften. In Österreich lebt meine Familie, mit der ich innig verbunden bin. Mit Indonesien bin ich verheiratet. Dort lernte ich 1994, bei Dreharbeiten über Todesriten, meinen Ehemann auf Sumba kennen.


„Lebenslang Aufbruch“ scheint als Motto in meine Gene geschrieben.

1951 erblickte ich  im Dreiländereck Österreich, Slowenien, Italien in Villach das Licht der Welt. Das weckte schon früh in mir die Lust, Grenzen zu überschreiten und die Welt zu entdecken. In Klagenfurt am Wörthersee wuchs ich auf. Alles schön. Wunderschön. Mit 15 Jahren war es zu schön für mich. Eine Zeitungsannonce, die mit freier Kost, Logis und Taschengeld für eine Ausbildung zur Diplomkrankenschwester warb, klang nach Erfüllung der ersehnten Unabhängigkeit für mich. Ich entschloss, auf diesem Umweg mein Abitur zu machen und danach Kunst zu studieren. Kurzerhand bewarb ich mich für eine Ausbildung in Deutschland.

1967 kam ich in Kassel und ein Jahr später in Frankfurt an. Auf dem eigenen Weg war ich nun. Mein Plan aber, sofort mit dem Abitur loszulegen, musste bis nach meinem Krankenschwesterdiplom aufgeschoben werden. So studierte ich neben meiner Ausbildung das Leben, entdeckte die Gegenwartskunst, das Theater, den Avantgardefilm, die Psychoanalyse und die bunten, kunterbunten 1968er Jahre. Alles spannend.

Nach meinem Diplom machte ich das Abitur. Danach studierte ich Kunst und Soziologie für das Lehramt an der Goethe Universität Frankfurt. Begeistert tauchte ich in die Tiefen soziologischer, philosophischer, psychoanalytischer, anthropologischer und kunsthistorischer Diskurse ein und entdeckte in den Semesterferien auf Reisen die Schönheit der Welt. Mein bildnerisches Interesse bewegte sich Richtung Film. So machte ich ein Radaktionspraktikum beim Hessischen Rundfunk. 1982 beendete ich das Studium als Diplompädagogin für Erwachsenenbildung und das mit einer für das Fach atypischen kulturhistorischen Arbeit, durch den poststrukturalistischen Blick gefiltert. Ich ging darin auf.

Plötzlich stand ich an einer Weggabelung und kam ins Schleudern. Gebe ich nun meiner wissenschaftlichen Begeisterung, meinem künstlerischen Naturell oder meiner  Faszination für ferne Kulturen nach? Ich begann mit einer Doktorarbeit über die Wiener Moderne, malte, lehnte ein Angebot beim Hessischen Rundfunk ab, da mir der Schwerpunkt nicht gefiel und spekulierte mit einem Entwicklungshilfeprojekt in Nepal. Das Entscheidungskarussell drehte sich und drehte sich. Die leere Geldtasche brachte mich auf einen nicht geplanten Kurs.

1984 begann ich an der Volkshochschule Frankfurt und Friedberg Begleitzirkel für das Funkkolleg Kunstgeschichte zu geben. Schnell mauserte ich mich zur Geschichtenerzählerin, mit begeistertem Publikum. Rastlos folgte ein Kurs dem anderen. Ich kam mit dem Eintauchen in die Literatur kaum nach. Bald hielt ich Exkursionen in Köln, Düsseldorf, Kassel, Venedig, Rom, Wien und schrieb Artikel für den Hessischen Volkshochschulverband. 1988 rief mich der Leiter der damaligen Kunstschule Westend an, die heutige  “Academy of Visual Arts“. Er fragte mich, ob ich bei ihm Kunstgeschichte lehren wolle. 24 Jahre lang freute ich mich auf meine Studentenschar.

Schön, alles schön, wunderschön und doch fehlte mir etwas. Es war das Gestalten von Bildern und Geschichten. Als ich 1989 dachte, es wäre an der Zeit, für das Fernsehen zu arbeiten, traf ich zufällig meinen ehemaligen Redakteur. Diesmal war es der richtige Augenblick. Jetzt wollte ich und wagte den  Sprung.  Ich lernte von meinen Teams und arbeitete  mich von Fehler zu Fehler voran, bis ich das Handwerk mit unverwechselbarer Handschrift konnte. Erst waren es Magazinbeiträge im Bildungs- und Kulturbereich. Bald kamen andere Schwerpunkte und Features hinzu. Ich war angekommen.

1994 kaufte ich eine High-8 Kamera  und fuhr (was man mir als Frau nicht zutraute – es lebe das Vorurteil) auf die indonesische  Insel Sumba, um ein Feature über animistische Todesriten zu drehen. Drei Monate blieb ich und konnte meine Arbeit über das  „Leben mit den Ahnen“   für die Reihe „Länder – Menschen – Abenteuer“ verkaufen. Ein Jahr später lud mich ein Prinz nach Sumba ein, das Begräbnis des Königs von Rende zu drehen. Eile war angesagt. Da blieb keine Zeit, um sich redaktionell abzusichern. Frei nach Satz Sartres: „Man muss den Sprung wagen“, nahm ich das Risiko in Kauf, auf einem Schuldenberg sitzen zu bleiben, heuerte ein Kamerateam an und flog. Das Glück war auf meiner Seite. Der Europäische Kulturkanal Arte kaufte das Feature.

Ob ich indigene Kulturen in Peru, Indien, Indonesien oder Norwegen besuchte, jede Reise war  eine  faszinierende Entdeckung, überall lernte ich wunderbare Menschen kennen, überall bin ich angekommen. Manche Recherche wurde für Arte ein Feature. Unzählige Exposés schrieb ich für den Mülleimer, dennoch habe ich keine Reise bereut. Scheitern ist für mich die Gymnastik des Lebens, die die Ideenschmiede im Kopf in Bewegung hält. Auch ist es für mich einerlei, ob ich über indigene Kulturen oder das Leben in Hessen berichte. Die Entdeckung der Welt fängt für mich vor der Haustüre an.


2018, ein neuer Weg. Ich begann Bildungsurlaub-Seminare über Themen, die mich bewegen, zu geben. Eine Fernsehkollegin brachte mich auf diese Idee. Begeistert steige ich seitdem in gegenwärtige wissenschaftliche Diskurse ein und finde endlos neue Themen.

Wie sagte Picasso so schön: „Ich suche nicht, ich finde!“ Das gilt auch für mich, ob mit meinen Seminaren, einem neuen Film- oder einem angedachten Buchprojekt. Der Ausdruck ergibt sich. Das Thema ist, wie an anderer Stelle erwähnt, klar: Der Mensch – also wir – in allen  Facetten und der potentiellen Fähigkeit, die Welt als Wohnort für alle zu bewahren. Dazu anzuregen macht mir mit meiner vollkommenen Unvollkommenheit, meinen Macken und Fehlern Freude. Und im  Hinterzimmer meines  „Hirnkastels“, wie wir in Österreich sagen, frage ich mich, was ich als Nächstes auf dem Weg des Lebens finde. „Aller Anfang ist Traum …“ – das gilt noch immer.

 

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